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FAQ

Chance auf Koexistenz oder "Früchte des 7. Oktobers"? Alles zur Anerkennung Palästinas

  • Aktualisiert: 22.09.2025
  • 18:04 Uhr
  • Christopher Schmitt
In Ramallah sitzt die Palästinensische Autonomiebehörde (Bild) - doch als Hauptstadt wünscht man sich Ost-Jerusalem.
In Ramallah sitzt die Palästinensische Autonomiebehörde (Bild) - doch als Hauptstadt wünscht man sich Ost-Jerusalem.© IMAGO/Depositphotos

Frankreich hat den ersten Schritt gemacht - andere Länder zogen nach: Doch was bedeutet die Anerkennung eines palästinensischen Staates überhaupt? Ein Überblick unter Berücksichtigung der neusten Entwicklungen in Nahost.

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Inhalt

Seit Jahrzehnten ist die Zweistaatenlösung in Nahost - eine friedliche Koexistenz der Staaten Israel und Palästina - das angestrebte Ziel eines Großteils der Weltgemeinschaft. Nach dem Massaker des 7. Oktobers 2023 durch palästinensische Terrorgruppen samt brutaler Geiselnahme und Israels rücksichtslosem Krieg im Gazastreifen, der in eine Hungerkrise mündete, scheint das Ziel soweit entfernt wie noch nie.

Aus diesem Grund sah sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Handeln gedrängt: "Frieden ist möglich", schrieb er auf X. Er wolle einen souveränen Staat der Palästinenser:innen anerkennen, kündigte er vor langem an. Weitere westliche Länder folgten seinem Beispiel und wagten sogar den nächsten Schritt - allein am Sonntag (21. September) erkannten vier Regierungen Palästina als Staat an.

Längst hat ein Kampf um die Deutungshoheit der geplanten Anerkennung begonnen. Wie die "Times of Israel" berichtet, hat Ghazi Hamad, ein hochrangiges Mitglied des Hamas-Politbüros, den diplomatischen Schachzug als "Früchte des 7. Oktobers" bezeichnet - und drückt sich damit ähnlich aus wie die rechtsreligiöse israelische Regierung. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will derweil den ganzen Gazastreifen besetzen - trotz vehementer Kritik aus der eigenen Armee.

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Netanjahu erwägt komplette Einnahme Gazas

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Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten stellt sich einmal mehr die Frage, was eine Anerkennung Palästinas überhaupt bedeuten würde - diplomatisch, politisch und nicht zuletzt symbolisch. Wie ist die Haltung weltweit zu einem Staat Palästina? Wie könnte dieser aussehen? Und wie positioniert sich Deutschland? Ein Überblick.

Welche Staaten haben Palästina zuletzt anerkannt?

Für die Palästinenser:innen dürfte der Sonntag (21. September) als ein historischer Tag in die Geschichte eingehen: Erst erkannte Kanada die Souveränität Palästinas an, dann folgten Australien und Großbritannien binnen weniger Stunden dem Beispiel des nordamerikanischen Staates. Am Abend zog schließlich auch Portugals konservative Regierung nach. Das Besondere an diesen politischen Entscheidungen: Mit Großbritannien und Kanada erkennen erstmals zwei G7-Staaten einen Palästinenser-Staat an.

Kanadas Premierminister Mark Carney begründete den Schritt mit dem aggressiven Vorgehen Netanjahus gegen einen palästinensischen Staat. Der Schritt seines Landes solle dazu beitragen, die Perspektive einer Zweistaatenlösung zu erhalten.

Der australische Premier Anthony Albanese teilte ebenfalls mit, dass die Anerkennung neuen Schwung für eine Zweistaatenlösung schaffen solle. Die Bedingung dafür: "Die Terrororganisation Hamas darf keine Rolle in Palästina spielen."

"Angesichts des wachsenden Schreckens im Nahen Osten handeln wir, um die Möglichkeit von Frieden und einer Zweistaatenlösung zu wahren", erläuterte hingegen Großbritanniens Regierungschef Keir Starmer. Die Anerkennung Palästinas solle dazu führen, dass ein lebensfähiger Palästinenser-Staat und ein sicheres Israel gemeinsam existieren können.

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Der portugiesische Außenminister Paulo Rangel sprach von einem "breiten Konsens" im Parlament in dieser Frage. Auch er machte deutlich, dass die Zweistaatenlösung der einzige Weg zum Frieden in der Region sei.

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Welche Staaten wollen Palästina noch anerkennen?

Frankreichs Präsident Macron teilte in einem Interview mit dem US-Sender CBS zuletzt mit, dass sein Land am Montagabend (22. September) Palästina als souveränen Staat anerkennen wolle. Bevor aber in Palästina auch eine französische Botschaft eröffnet werden könne, müssten die Geiseln in Gaza freigelassen werden, stellte er gleichzeitig klar. Sollte Paris den Schritt vollziehen, hätten einschließlich Russland, Großbritannien und China vier der fünf UN-Vetomächte einen Staat Palästina anerkannt - einzig die USA nicht.

Neben Frankreich wollen weitere westliche Schritte denselben Schritt gehen. Noch während der UN-Generalversammlung, die am Dienstag beginnt (23. September) sollen Berichten zufolge Belgien, Neuseeland, Luxemburg und San Marino die Anerkennung Palästinas als Staat vollziehen.

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Welche Forderungen werden gestellt?

Mit der Ankündigung einer Anerkennung soll der Druck auf Israel erhöht werden, den Krieg im Gazastreifen zu beenden - doch auch an die palästinensische Seite werden klare Bedingungen gestellt, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Macron betonte in seinem Post, dass ein Kriegsende dringend notwendig sei und der palästinensischen Zivilbevölkerung Hilfe geleistet werden müsse. Außerdem müssten alle israelischen Geiseln freigelassen werden und die Entmilitarisierung der Hamas gesichert werden, betonte der französische Präsident.

Der britische Premier Keir Starmer forderte die israelische Regierung auf, die "entsetzliche Situation im Gazastreifen" zu beenden und sich zu einem langfristigen, nachhaltigen Frieden zu bekennen. Zu diesen Schritten zähle unter anderem, den Vereinten Nationen zu gestatten, die Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen mit humanitärer Hilfe zur Beendigung des Hungers unverzüglich wiederaufzunehmen, hieß es in einer Mitteilung aus der Downing Street. Außerdem müsse Israel einer Waffenruhe zustimmen und klarstellen, dass es keine Annexionen im Westjordanland geben werde.

Allerdings sagte Premier Starmer in einer Kabinettssitzung auch, dass die Forderungen an die islamistische Hamas bestehen blieben: Die Hamas müsse alle Geiseln freilassen, ebenfalls einer Waffenruhe zustimmen, akzeptieren, dass sie keine Rolle beim Regieren des Gazastreifens spielen werde und ihre Waffen niederlegen.

Fakt ist: Die Geiseln sind bislang nicht frei - erst kürzlich veröffentlichten die Islamisten ein Video mit abgemagerten und gedemütigten Israelis - und die Hamas knüpft nach eigenen Angaben die Niederlegung der Waffen ihrerseits an einen vollständig souveränen Palästinenserstaat. Hauptstadt solle das umkämpfte Jerusalem sein, das auch Israel als Hauptstadt beansprucht. Angesichts der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen wären auch die Forderungen an Israel nicht erfüllt - im Gegenteil.

Welche Folgen hätte eine Anerkennung?

Der "Deutschlandfunk" berichet, eine Anerkennung Palästinas hätte aus völkerrechtlicher Sicht keine Auswirkungen. ZDF-Recherchen zufolge erhalten die Palästinensergebiete nicht mehr Geld oder weitreichendere Gebietsansprüche. Somit lässt sich eine Anerkennung als symbolischen Akt bewerten. Dieser könnte aber durchaus konkrete Folgen haben und eine Dynamik lostreten.

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Wie fallen die Reaktionen Israels aus?

Neben der rechtsreligiösen Regierung Israels lehnt auch Oppositionsführer Jair Lapid Macrons Vorstoß entschieden ab. Regierungschef Benjamin Netanjahu sehe darin eine "Belohnung" für den Terror der Hamas. Zudem riskiere dies die Schaffung eines iranischen Stellvertreterstaats, wie es der Gazastreifen unter der Hamas geworden sei. "Ein palästinensischer Staat unter diesen Bedingungen wäre eine Startrampe zur Vernichtung Israels." Israels Außenminister Gideon Saar reagierte auf der Plattform X. "Ein palästinensischer Staat wird ein Hamas-Staat sein."

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Wie reagiert die Terrororganisation Hamas?

"Wir betrachten dies als einen positiven Schritt in die richtige Richtung, um unserem unterdrückten palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und sein legitimes Recht auf Selbstbestimmung zu unterstützen", teilte die Hamas mit Blick auf Macrons Schritt mit - und rief weitere Länder auf, dem Beispiel Frankreichs zu folgen.

"Die Früchte des 7. Oktober haben dazu geführt, dass die ganze Welt ihre Augen für die palästinensische Frage geöffnet hat", erkärte zudem Ghazi Hamad vom Politbüro der Hamas gegenüber "Al Jazeera". Nun bewege sich die mit Nachdruck auf dieses Ziel zu. "Das heißt, dass das palästinensische Volk ein Volk ist, das ein Land verdient."

Was sagt die Palästinensische Autonomiebehörde?

Die Palästinensische Autonomieverwaltung (PA) hat Macrons Ankündigung, Palästina als Staat anerkennen zu wollen, begrüßt. Dies bestätige, dass sich Frankreich dem internationalen Recht verpflichtet fühle, sagte PA-Vizepräsident Hussein al-Scheich nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. Paris unterstütze damit das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und auf einen eigenen Staat, fügte er hinzu.

Wie steht Deutschland zu einer Anerkennung?

Für Deutschland ist eine Anerkennung Palästinas aktuell keine Option. Trotz des neuen Palästina-Kurses zahlreicher Regierungen beharrt Berlin auf seiner Position. "Wir haben eine andere Beurteilung des Sachverhalts. Wir haben vielleicht, wenn man so sagen will, eine andere Haltung in diesem Sachverhalt", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille. Außenminister Johann Wadephul drängt auf die Freilassung der Geiseln sowie ein Ende des Gaza-Kriegs und warnt vor einer Isolation Israels.

Deutschland fühlt sich vor dem Hintergrund des Holocausts dem Existenzrecht Israels in besonderer Weise verpflichtet. Es erkennt aber gleichzeitig an, dass die Palästinenser:innen auf der Grundlage des in der Charta der Vereinten Nationen verbrieften Selbstbestimmungsrecht der Völker einen eigenen Staat für sich in Anspruch nehmen.

Welche Länder haben Palästina (nicht) anerkannt?

Etwa 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten haben Palästina bereits als Staat anerkannt - die angekündigten Anerkennungen nicht mitgezählt. Hierzu zählt der Großteil der Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien, unter anderem auch China und Russland. Eine außereuropäische Ausnahme stellt Japan dar- Tokio erkennt den möglichen Staat bislang nicht an.

Einflussreiche westliche Länder wie UN-Vetomacht USA gehören ebenfalls nicht dazu. Mit dem Vorstoß Frankreichs und Großbritanniens könnte sich dies jedoch bald ändern. Bereits im vergangenen Jahr waren mit den EU-Staaten Spanien, Irland und Slowenien sowie Norwegen bereits diesen Schritt gegangen. Neben Deutschland wird Palästina nach aktuellem Stand auch von Österreich und der Schweiz, Italien, Griechenland und Finnland nicht anerkannt.

Wie sähe ein palästinensischer Staat aus?

Wahrscheinlich bestünde ein souveränes Palästina aus zwei Teilen: dem Westjordanland unter der Fatah vom Chef der Autonomiebehörde Mahmud Abbas sowie dem Gazastreifen, der von der Hamas kontrolliert wird. Problematisch bleibt, dass die Grenzen zwischen Israel und den Palästinensergebieten nicht abschließend geklärt sind - ebenso wie der Status von Ost-Jerusalem.

Zudem sind Hamas und Fatah untereinander verfeindet, was die Frage nach dem entsprechenden Ansprechpartner aufwirft. Fast zwei Jahrzehnte ist die Wahl von Abbas mittlerweile her, die Autonomiebehörde wird von vielen Palästinenser:innen kritisch gesehen. Die Hamas ist als islamistische Terrororganisation weder für Israel noch für andere wichtige Nationen ein akzeptabler Verhandlungspartner - und durch den Gazakrieg obendrein geschwächt, wie der "Deutschlandfunk" berichtet.

Warum wird die Zweistaatenlösung teils abgelehnt?

Israels Regierung ist laut Deutscher Presse-Agentur gegen die Zweistaatenlösung, weil in ihr die Ansicht vorherrscht, dass das besetzte Westjordanland und Ost-Jerusalem aus historischen und religiösen Gründen Israel zustehen und von Juden bewohnt werden sollen.

Bei nicht religiösen Israelis überwiegen Sicherheitsbedenken: Ein palästinensischer Staat, der in der Mitte Jerusalems beginnt und an manchen Stellen recht nah an die Metropolen Tel Aviv und Haifa heranreicht, gilt aus ihrer Sicht als ein inakzeptables militärisches Risiko.

Auch die Hamas lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Sie beansprucht langfristig das gesamte historische Palästina - also einschließlich des heutigen Staatsgebietes Israels - für einen künftigen palästinensischen Staat. In einem Grundsatzpapier aus dem Jahr 2017 akzeptiert sie einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 - das heißt bestehend aus dem Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem - als "Zwischenschritt", erkennt aber auch dabei das Existenzrecht Israels nicht explizit an.

Was macht ein Gebiet zum Staat?

Juristisch wird ein Staat über drei Elemente definiert: Staatsvolk, Staatsterritorium und Staatsgewalt. Diese Kriterien greift auch die völkerrechtliche Montevideo-Konvention von 1933 auf. Demnach muss ein Staat eine ständige Bevölkerung, ein Staatsgebiet, eine Regierung und die Fähigkeit zu Beziehungen mit anderen Staaten haben. Die Anerkennung durch andere Staaten gilt hingegen als nicht notwendig. Inwieweit die palästinensischen Gebiete diese Kriterien erfüllen, wird schon lange kontrovers diskutiert. Die Diskussionen werden anhalten.

  • Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
  • "Deutschlandfunk": "Was die Anerkennung Palästinas bedeutet"
  • ntv: "Hamas lobt Macron - 'Schritt in richtige Richtung'"
  • ZDF: Staat Palästina: Was die Anerkennung bedeutet
  • "Zeit": "Welche Länder Palästina als Staat anerkennen"
  • "Jüdische Allgemeine": "Hamas: Ohne Staat Palästina kein Ende der Kämpfe"
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